Mein Turnierbericht Wiener Schach Open – Autor Andreas Brühl

Erstmal möchte ich mich für die zahllosen Anfeuerungs-Anrufe/SMS/Kommentare bedanken, die ihr mir während des Turniers zukommen ließt. Leider konnte ich während des Turniers mangels Internetzugang an dieser Stelle nicht antworten.

Über das Turnier an sich kann ich eigentlich nur Positives berichten. Klar, es muss ja einen Grund geben, warum es mit über 700 Teilnehmern zum größten westeuropäischen Turnier aufgestiegen ist. Zunächst einmal der wundervolle Spielort: der Festsaal des Wiener Rathauses – ein Bild hat Wolfgang in seinem Bericht ja schon gezeigt. Ich hab in meinem Schachleben ja schon in vielen „Dreckslöchern“ gespielt, aber neben Statuen und unter riesigen Kronleuchtern, das war wirklich mal was Neues. Ein weiteres Plus aus meiner Sicht die späte Startzeit (an den Werktagen um 17 Uhr). Dies ließ mir, der ich zum ersten Mal in Wien war, genügend Zeit, um entspannt die Stadt und seine vielen faszinierenden Sehenswürdigkeiten zu erkunden. Und am Abend war meist noch Zeit für ein Bierchen entweder mit Tim Thurstan aus unserem englischen Partnerverein in Letchworth und seinen Begleitern oder mit Claude und seinem luxemburgischen Landsmann Philippe.

Nun noch eine Zusammenfassung meiner eigenen Partien (Die Partien könnt ihr in den im Laufe des Turniers von Wolfgang verfassten Berichten nachspielen): Nach zwei Auftaktsiegen hatte ich in Runde 3 gegen den polnischen Jugendspieler Snihur (2122) eine schwierige Zeit in der Eröffnung zu überstehen. Er lockte mich über Zugumstellung in das Spanische Mittelgambit, in dem ich mich aber überhaupt nicht auskannte. Jedoch gelang es mir, die zum Ausgleich führenden Theoriezüge am Brett zu finden. Später kippte die Partie dann in meine Richtung.

Runde 4 gegen den finnischen IM Sipilä (2474) war meine mit Abstand beste Partie des Turniers. In der Eröffnung spielte ich sehr schematisch auf Minoritätsangriff, und nach 14…Tc8 wäre 15.bxc6 die konsequente Fortsetzung (um den Bd5 zu isolieren). Danach kann Schwarz aber seinen Springer über c6 und a5 sehr schön ins Spiel bringen. Hier fand ich den Zug 15.Sc3!, der eine 180°-Drehung des Plans darstellt: Weiß nutzt nun den schwarzen Figurenknoten am Damenflügel dadurch aus, dass er mit e3-e4 die Mitte öffnet. Die Partie konnte ich dann im Königsangriff entscheiden. Sehr putzig die Stellung nach 23.Dg4: Bis auf den Le7 stehen alle seine Figuren nutzlos am Brettrand, während ich mit allen meinen Figuren über seinen König herfalle.

Runde 5 ähnelte Runde 3 insofern, als mein Gegner IM Poetsch (2446), der übrigens ein überragendes Turnier spielte, sich viel besser in der Eröffnung auskannte als ich. Ich entschied mich spontan, gegen sein Evans-Gambit erstmals die 5…Le7-Variante zu spielen, da ich gegen das klassische 5…La5 kürzlich eine schlechte Erfahrung hatte. Leider kannte er sich extrem gut aus (bis 13.Td1 alles a Tempo), und wahrscheinlich habe ich nie ganz ausgeglichen. Nach 20…f6? beendet das schöne 21.Lg4! praktisch die Partie (Idee Td7).

In Runde 6 machte mir GM Stanec (2515) ein Angebot, dass ich nicht ablehnen konnte … Remis nach 11 Zügen.

In Runde 7 wurde mir mit GM Shengelia (2565) der nächste österreichische Großmeister zugelost. Nachdem es mit gelungen war, dank mehrerer Ungenauigkeiten eine vielversprechende Eröffnungsposition in eine klar vorteilhaftere Stellung für ihn umzuwandeln, konnte ich durch zähe Verteidigung die Partie ausgleichen, schließlich ergab sich ein völlig remisiges Turmendspiel. Doch was nun folgte, löste bei allen Beobachtern nur Kopfschütteln aus. Sein Zug 53…g5??? war noch nicht mal ein Einsteller, es war einfach vorsätzlicher Selbstmord!

Nach diesem Sieg war ich natürlich euphorisiert, was sich mit der nächsten Runde gegen GM Kim (2477) aus Korea gründlich ändern sollte. Nach 14…Lxe3 sieht Houdini Weiß in Vorteil, aber ich bin anderer Meinung: Der e-Doppelbauer ist nicht aufzulösen, und sein Läuferpaar braucht ein offenes Zentrum, um zur Geltung zu kommen. Und die halboffene f-Linie kann er auch nicht nutzen. Mit fortschreitender Spieldauer schien mir mein Gegner auch immer frustrierter und beging schließlich mit 35.Ta3? einen unscheinbaren, aber schwerwiegenden Fehler: Der Entfesselungstrick 37…c6! gewinnt aus dem heiteren Himmel heraus Material. Die danach entstehende Stellung zu gewinnen, ist aber noch sehr schwierig. Trotzdem machte ich langsam Fortschritte, und wäre ich bei meinem ursprünglichen Plan geblieben und hätte im 61.Zug die Damen getauscht, hätte ich den vollen Punkt verbuchen können. Doch ich fing an, einfache Züge zu übersehen, und stellte in der Folge zuerst den Springer ein und vergab danach sogar noch das Remis im Damenendspiel.

Entweder aufgrund dieser Partie oder aufgrund des frühen Beginns um 10 Uhr war ich am nächsten Tag nicht mehr zu einer vernünftigen Schachpartie in der Lage. Dies mag arrogant klingen, wenn man gegen Ivan Sokolov (2656), der laut Wikipedia mal Kasparow in 28 Zügen geschlagen hat, eine klare Gewinnstellung mit Mehrfigur erreicht. Aber dies war nicht mein Verdienst: Aus einer besseren Stellung heraus opferte mein Gegner, der ein total missratenes Turnier spielte, völlig inkorrekt mit 15…La6 eine Figur. Aber ich patzte weiter im Stile der vorigen Partie und schaffte es noch, die Partie zu verlieren. Glücklicherweise hatte ich aufgrund der hohen Zahl Sokolovs die IM-Norm schon vor der Partie sicher.

Insgesamt trotz des ernüchternden Finales sicher ein erfolgreiches Turnier für mich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert